Freitag, 11. April 2014

Seit fünfzehn Monaten Witwe


Fest sein, doch
Das Herz nicht hart werden lassen.
Zügig vorwärtsgehen,
sich nicht schämen,
große, kräftige Schritte zu machen,
aber dabei die anderen nicht umrennen.

Sich in acht nehmen
Vor den Netzen des Scheitan
-         Traurigkeit, Zukunftsängste, Ohnmacht -.
Aber doch ein bißchen Zeit lassen
Zum Fühlen, Nachdenken,
nicht nur: Planen,  Drandenken, Bloß-nicht-vergessen.
Sich voll einsetzen,
aber die Dimensionen im Auge behalten,
wie klein wir doch sind,
wie beschränkt unser Verstand,
Sieg und Erfolg kommen von Allah.

Den Schmerz der Welt
An sich heranlassen:
Drei irakische Familien in einer Wohnung,
so groß wie meine,
in der sich meine Söhne schon die Köpfe einschlagen,
wie oft habe ich gesagt,
die Wohnung ist zu klein,
jetzt schäme ich mich,
drei Familien,
Väter und Kinder sitzen alle daheim,
drei Familien in einer Wohnung,
keine Arbeit, keine Schule –
mein täglicher Kampf besteht darin,
meine Kinder zum Lernen zu kriegen,
daß sie auch ihr Vesperbrot nicht vergessen,
wenn sie morgens aus dem Haus gehen.
Vielleicht sollte ich es etwas gelassener sehen.

Der Schmerz der Welt –
Wie schlimm es im Irak zugeht,
das weiß die Welt gar nicht,
es kommt nicht in den Nachrichten.
Wir wissen es schon,
die ewigen Erzählungen
der Mutter der Freundin meiner Tochter
dieses noch nicht überwundene Entsetzen,
ich wünschte, ich hätte mehr Geduld
ihr zuzuhören,
auch wenn ich recht habe,
sie sollte hier und jetzt
ihren Mann stehen, vorwärts schauen,
statt immer diese ewigen Erzählungen,
Netz des Scheitan.

Der Schmerz der Welt,
ich will etwas tun,
ich muß etwas tun,
Gott sei´s gedankt,
ich kann etwas tun,
so viel ist zu tun,
das ist Barmherzigkeit von Allah.
Und wie gut es uns geht,
gelobt sei Allah...
die  Väter, die Kinder, drei Familien,
die in ihrer Wohnung sitzen.

Einkaufen in Qudsija,
wie hart wird es mir diesmal,
die Sehnsucht zurück in meine Muschel –
jahrelang hatte ich kein Geld in der Hand,
mein Mann sorgte für alles,
möge Allah ihm barmherzig sein.
Beim Käsemann starrte mir ein älterer
Mann mit Zigarette im Gesicht, das ich nicht anschaute,
unverschämt in  mein Gesicht,
ich sagte ein deutsches Schimpfwort,
das war mir noch nie passiert.
Vergib mir, o Allah –
Was hätte ich tun sollen?

Qudsija ist voll
Irakischer Flüchtlinge.
Männer in Djelabija mit Bärten,
das hebt sich ab,
wie sehr wir uns doch schon
an das fast europäische Bild hier gewohnt haben.
Mein Herz schlägt für euch,
und ich halte den Blick gesenkt,
schaue euch nicht ins Gesicht.

Als ich heimkam,
waren die Kinder noch nicht im Bett.
Freudestrahlend
Kamen sie zur Tür,
sie hatten das Kinderzimmer aufgeräumt,
waren stolz, erwarteten ein Lob.
Mir platzte der Kragen,
keine Geduld mehr,
scheuchte sie ins Bett,
absolvierte mein Nachtgebet,
sah zu, daß ich selber ins Bett kam,
das war doch richtig so, oder?
Um früh aufzustehen.

Besonders früh stand ich nicht auf,
schlief tief und fest, traumlos,
zwischendrin war mal ein Kind kurz wach,
ich ging auch wieder schlafen.
Das Ergebnis der Nacht war mager.
Als die Morgendämmerung anbrach,
fühlte ich mich eher schal,
weckte die Kinder zum Gebet,
gemeinsames Gebet mit Safia,
tapfer und treu hält sie daran fest,
ma scha Allah,
dann die Morgenroutine,
Gott sei Dank,
es ging ohne allzuviel Geschrei und Theater ab.

Und so weiter.
Ein paar Tage lang.
Ist doch richtig, was ich mache, oder?
Daß ich meine Kinder großziehe,
so gut ich nur kann,
Koran, Übersetzen.
Ich will das alles,
und ich habe es mir gut überlegt,
daß ich das will,
Allah um Hilfe gebeten,
zu tun, was richtig ist.

Was sollen die Männer mit den Bärten?
Wie sehr verliere ich mich doch
Im Unwesentlichen.
Oder ist es doch nicht unwesentlich?
Weshalb ich ihnen nicht ins Gesicht schaue,
wird vielleicht keiner verstehen.
Es ist Gehorsam gegen Allah,
wir sollen den Blick gesenkt halten.
Koran Sure An Nur Vers 31.
Solange ich es durchhalte,
bleibt  mir doch ein Rest meiner Muschel,
auch wenn ich nun
meinen Mann stehen muß.

Kinder großziehen,
Koran, Übersetzen.
Gegeben, die großen Linien stimmen,
geht es doch noch um die Details.
Sich um Dichte bemühen,
den Raum zwischen den Linien fein ausfüllen.
Nicht immer schneller vorwärts stürzen,
 sondern behutsamer die einzelnen Schritte
richtig setzen.
Geduld für die Kinder aufbringen, viel Geduld,
noch mehr Geduld und noch mehr,
Verständnis, Liebe, Sorge.
Das Gebet wirklich beten,
es ist keine Gymnastikübung.
Ganz bestimmt nicht,
mich im Unwesentlichen verlieren.
Die Nächte ernten,
wie kann man sie einfach verschlafen.

Der Frieden des letzen Drittels der Nacht,
vor Gott stehen,
wie nah Er ist,
wenn wir uns nicht einfach wegdrehen.

Er ist nah, immer,
selbst mitten im Suq von Qudsija.
Gott zu dienen,
als ob wir Ihn sähen,
denn sehen wir Ihn auch nicht,
so sieht Er uns doch.

Gott so zu dienen,
als sähe ich Ihn
-         O Allah, wann wirst du mein Gebet erhören
und mir das schenken?


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